Soziales Unternehmertum in der Schweiz

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Soziales Unternehmertum in der Schweiz

«Die Schweiz hat noch nicht einmal erkannt, was für ein grosses Potenzial hier brach liegt.»

Im Gespräch mit drei Sozialunternehmenden aus der EVP.

Die globale Wirtschaft ist auf dauerhaftes Wachstum ausgerichtet. Dies steht aber oft im Konflikt mit der Endlichkeit der meisten Ressourcen, dem Erhalt der Umwelt oder den Menschenrechten. Die EVP setzt sich von je her für ein qualitatives statt quantitatives Wirtschaftswachstum ein sowie für ein ethisches und soziales Unternehmertum. Unternehmerische Tätigkeit, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert statt auf Kosten der Umwelt, der nächsten Generationen oder des globalen Südens den Gewinn zu maximieren. Ein Unternehmertum, das sich innovativ für die Lösung sozialer Probleme und für einen positiven Wandel der Gesellschaft einsetzt. Wie kann das in der Schweiz, gerade auch nach dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative, konkret aussehen? Drei Sozialunternehmende geben uns einen Einblick.

Die «Konzernverantwortungsinitiative» hatte gefordert, dass sich Schweizer Unternehmen auch im Ausland an Menschenrechte und Umweltstandards halten und so verantwortungsvoller wirtschaften – auch für die EVP ein zentrales Anliegen ihrer Wirtschaftspolitik. Die Nationalratsmitglieder der EVP hatten sich im Parlament vergeblich für einen griffigen Gegenvorschlag eingesetzt. Die Variante des Ständerates und damit die Interessen der Konzerne setzten sich durch: Pflichten und Rechtskonsequenzen wurden weitgehend aus dem Gegenvorschlag gestrichen. Man sprach von einer Alibiübung mit lediglich einer Berichtspflicht in «Hochglanzbroschüren». 
Am 29. November 2020 sprachen sich zwar 50.7 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung für die Konzernverantwortungsinitiative aus – leider scheiterte sie schlussendlich jedoch am fehlenden Ständemehr. Deshalb kam der zahnlose Gegenvorschlag des Parlaments zum Zug. Inzwischen hat der Bundesrat den Verordnungsentwurf zur Umsetzung dieses Gegenvorschlages in die Vernehmlassung geschickt. Die EVP kritisierte in ihrer Antwort zusätzliche Einschränkungen des Geltungsbereiches der Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht. 
Der Bundesrat hielt nach der Vernehmlassung an verschiedenen Ausnahmen fest, insbesondere für grössere KMU, verzichtete auf Antrag der EVP und weiterer Organisationen aber zumindest auf eine Ausnahmeregelung für rezyklierte Metalle. Damit konnte verhindert werden, dass beispielsweise Gold-Importe aus Konfliktgebieten durch einfache Einschmelzung in einem Drittstaat aus der Sorgfaltspflicht entfallen. Der Gegenvorschlag und die dazugehörige Verordnung traten am 1. Januar 2022 in Kraft.

Die EVP engagiert sich für ein Unternehmertum, welches das Wohl von Mensch und Umwelt im Blick hat. Zahlreiche EVP-Mitglieder leben diese Haltung tagtäglich als Unternehmerinnen und Unternehmer in einem KMU. Wie facettenreich soziales Unternehmertum heute im Unternehmensalltag konkret aussehen kann, zeigen die Gespräche mit  einigen von ihnen. Sie geben Einblick in ihren Alltag und ihre Leidenschaft für das, was sie tun: 

 

Tania Woodhatch ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Gewürzmanufaktur und Sozialfirma WÜRZMEISTER und EVP-Gemeinderätin in Kloten. Sie bieten Menschen in schwierigen Lebenslagen eine Tagesstruktur und ggfs. einen Einstieg zurück ins Berufsleben sowie Begleitung für die Stellensuche. 

Tania, das soziale Engagement gehört bereits seit der Gründung zu Würzmeister dazu. Wie gelingt es, dennoch ein rentables Geschäft aufzubauen?

Das gelingt häufig schlicht nicht. Gewinn wirft Würzmeister auch nach über neun Jahren nicht ab, und ich zahle mir einen tieferen Lohn aus, als meinen Mitarbeitenden. Aber besonders rentabel zu sein, war auch nie das Ziel. Wir wachsen stark und investieren das Geld lieber in den Ausbau, um noch mehr Menschen Tagesstrukturen und einen Platz für eine sinnstiftende Tätigkeit zu bieten.
Ich sehe das Gewinnstreben vieler Unternehmen aber auch grundsätzlich kritisch. Grosse Gewinne bedeuten meist, dass entweder die Angestellten einen tieferen Lohn erhalten, als man zahlen könnte und fair wäre oder beim Einkauf der Preis so sehr gedrückt wird, dass Menschen ausgebeutet werden.

Was motiviert dich mehr am Morgen aufzustehen: Die Kundschaft, die sich über eure Gewürze freut oder der positive Einfluss, den ihr auf eure Mitarbeitenden habt?

Definitiv letzteres. Wir können Menschen einen Ort bieten, die ansonsten einfach zu Hause sitzen und dadurch beispielsweise zurück in psychische Krankheiten fallen würden. Es ist sehr schön zu sehen, wie man das Leben von Menschen positiv prägen kann. 

Was würdest du dir von der Politik wünschen, damit es mehr Unternehmen mit sozialem Engagement geben kann?

Ich sehe grosse Mängel im Sozialsystem. Es ist eine Maschinerie mit starren Abläufen, die vom Bürotisch aus angeordnet werden und nicht auf die Bedürfnisse der einzelnen Menschen Rücksicht nehmen. Die Folge davon sind Massnahmen, die den Menschen wenig helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern und eine Sozial-Industrie, die sich an Subventionen orientiert und nur anbietet, was bezahlt wird. Beispielsweise Stellen mit geringerer Beschäftigung oder flexibleren Arbeitszeiten werden aufgrund fehlender Subventionen kaum angeboten und die betroffenen Menschen bleiben so häufig zu Hause stecken, ohne Möglichkeit zu einer sinnvollen Beschäftigung in wertschätzender Atmosphäre. Da würde ich mir von Politik und Behörden mehr Flexibilität und Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der einzelnen Menschen wünschen.

 

Daniel Sommer ist Inhaber der Schreinerei Sommer Holzwerkstatt. Der Möbelschreiner und EVP-Kantonsrat setzt auf kurze Transportwege, lokales Holz und möglichst geringe Emissionen für die Umwelt.

Daniel, ein Schreinerunternehmer mit Diplom in Sozialpädagogik – wie helfen dir angeeignete Fähigkeiten dieser Ausbildung im Alltag als Unternehmer?

Früher waren diese Fähigkeiten hilfreich bei der Betreuung von Schülerinnen und Schülern, die ein «Time Out» aus der Sekundarschule machten. Heute kommt der Sozialpädagoge manchmal noch bei der Kundenberatung zum Zug.

In der Produktion besonderen Wert auf Nachhaltigkeit zu legen, ist häufig teuer und erschwert die Wettbewerbsfähigkeit. Weshalb setzt ihr dennoch auf diese Karte?

Ich glaube nicht, dass es grundsätzlich teurer ist, nachhaltig zu produzieren. Es braucht das Wissen über die Materialien und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, aber häufig lassen sich preiswerte Lösungen finden.
Ich stelle aber auch fest, dass es Kundschaft gibt, die nachhaltige Produkte schätzt und nachfragt. Natürliche Öle zur Behandlung von Holz geben dem Möbel einen natürlichen Charme. Und die Vermeidung von Material, das für den Menschen schädliche Stoffe in die Umgebung abgibt, schützt die Gesundheit. Es braucht dafür aber auch heute noch viel Aufklärungsarbeit.

 

Nik Gugger ist Nationalrat und Vize-Präsident der EVP Schweiz und engagiert sich politisch und beruflich für Soziales Unternehmertum.

Nik, du hast 20 Jahre Erfahrung als Sozialunternehmer. Was macht Soziales Unternehmertum aus?

Sozialunternehmerinnen und -unternehmer möchten zum Wohle der Gesellschaft beitragen. Das bedeutet beispielsweise, dass man Menschen mit Beeinträchtigungen oder Suchtkrankheiten eine Chance gibt.

Wie steht die Schweiz hier im internationalen Vergleich?

Die Schweiz ist im europäischen Vergleich rückständig. Länder wie Portugal, Spanien oder die Niederlande haben ein viel stärker ausgeprägtes Sozialunternehmertum. Die Schweiz hat noch nicht einmal erkannt, dass da ein grosses Potenzial brach liegt. Klar, Menschen mit Beeinträchtigungen haben Einschränkungen, aber gleichzeitig besonders wertvolle Fähigkeiten, die sie einsetzen können. Hier muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen diese Fähigkeiten nutzen können. Es braucht Arbeit statt Fürsorge, denn das ist der beste Weg zur Teilhabe.

Du bist stark vernetzt mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Wäre die Schweizer Wirtschaft denn bereit für mehr Inklusion?

Ich erlebe diese Bereitschaft immer öfter. Unternehmen kommen auf mich zu, weil sie Menschen mit Beeinträchtigungen einstellen möchten, aber niemanden finden. Die Behörden legen Steine in den Weg, statt solchen Unternehmen vermittelnd und beratend beizustehen.

 

Text und Interview: Dominic Täubert, Co-Präsident Junge EVP Schweiz

 

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